Wenn es um den Wolf geht, scheiden sich die Geister: Naturschützer bejubeln seine Rückkehr nach Deutschland, Kritiker fürchten um die Sicherheit von Mensch und Vieh. Schaf- und Weidetierhalter sind direkt von seiner Rückkehr betroffen und dennoch nicht automatisch Wolfshasser. Oft sind es die begleitenden Umstände, die die Situation so schwierig machen. Schäfer Daniel Voigt vom Landschaftspflegehof bei Michelbach/Bilz und Nebenerwerbslandwirt Bruno Fischer aus Kirchberg an der Jagst machen anlässlich einer bestätigten Wolfssichtung im Kreis Schwäbisch Hall auf die schwierige rechtliche Lage aufmerksam und geben zu bedenken, dass die Rückkehr des Raubtiers weitreichendere Folgen haben kann, als auf den ersten Blick zu erkennen ist.
Familie Voigt mit einem ihrer Herdenschutzhunde. (Foto: Corinna Janßen)
Mit seinem weißen, kuscheligen Fell fällt der Herdenschutzhund inmitten der Schafe fast nicht auf. Die Herde akzeptiert ihn als Mitglied. Doch wenn er einen Anlass sieht, die ihm anvertrauten Schafe zu verteidigen, will sich sicher keiner mit ihm anlegen: Stolze 70 Kilogramm bringt der Pyrenäenberghund auf die Waage, und er ist zu allem bereit, wenn er seine Herde in Gefahr sieht. Aus Sicht von Daniel Voigt sind seine Herdenschutzhunde das einzige Mittel, um Angriffe durch wildlebende Wölfe zu verhindern. „Ein Schaf durch einen Wolfsangriff zu verlieren ist ein Schmerz, aber das was danach kommt, ist viel folgenschwerer”, erzählt der Schäfer. Die Tiere sind nach solch einer Erfahrung verstört. Das macht sich in der Hütehaltung besonders bemerkbar: Die Schafe haben plötzlich Angst vor den Hütehunden und ziehen nicht mehr mit dem Schäfer mit. „Die meisten Weidetierhalter sind keine Wolfshasser“, berichtet Daniel Voigt. „Das Problem ist nicht der Wolf selbst, sondern seine unkontrollierte Vermehrung. Er kann nichts dafür, dass er als streng geschützt eingestuft wurde. Das haben Menschen entschieden.“
Mit seiner Herde aus 900 Mutterschafen übernimmt Daniel Voigt gemeinsam mit seinem Vater Manfred in den Gemeinden Oberrot, Fichtenberg, Rosengarten, Michelbach/Bilz, Michelfeld und Schwäbisch Hall die Pflege vieler Flächen, die maschinell nicht gemäht werden können. Seine Schafe beweiden auch unwegsames Gelände – unter den wachsamen Augen der Hütehunde, die Ausreißer schnell wieder zur Herde zurücklotsen. Doch nach einem Wolfsangriff ist daran nicht zu denken, da ist die Herde wochenlang kopflos. „Das zieht einen Rattenschwanz nach sich: Was passiert, wenn ein Schäfer mit der Pflege der ihm anvertrauten Flächen nicht mehr nachkommt?“ Zusätzlich sieht er bei einem Angriff durch Wölfe ein weiteres rechtliches Problem: „Als Tierhalter habe ich die Pflicht, meine Schafe so zu schützen, dass ihnen kein Leid zugefügt wird.“
Also Herdenschutzhund kaufen und das „Problem Wolf“ ist gelöst? „So einfach ist das nicht“, erklärt Schäfer Voigt, „die Eingewöhnungsphase von Herdenschutzhunden dauert zwei Jahre.“ Die Schafe müssen erst lernen, dass sie vom Hütehund am Tag getrieben und vom Herdenschutzhund nachts dagegen beschützt werden. Voigt selbst hat 2015 an einem Projekt des Landesschafzuchtverbands teilgenommen und zwei ausgebildete Herdenschutzhunde dafür bekommen. Seine Erfahrung zeigt: „Wer Herdenschutzhunde einsetzen will, muss diese Hunde wirklich wollen.“ Ein Hund kostet rund 2.000 € an Unterhalt pro Jahr. Eine finanzielle Förderung ist nur in ausgewiesenen Wolfsgebieten möglich, zu denen der Landkreis Schwäbisch Hall noch nicht zählt. Und ein Herdenschutzhund bedeutet zusätzliche Arbeit für den Schäfer: Im ersten Jahr zwischen einer und zwei Stunden täglich. „Das ist für viele Betriebe nicht leistbar.“ Hinzu kommt der Faktor Mensch. Denn ein Herdenschutzhund beschützt seine Herde jederzeit und „verbellt“ daher auch Spaziergänger. „Der Großteil der Bevölkerung nimmt das hin. Es fühlen sich aber auch immer wieder Leute von den Hunden gestört.“
Für Nebenerwerbslandwirt Bruno Fischer sind Herdenschutzhunde keine Option: „Ich halte 12 Schafgruppen überwiegend auf kleinen Flächen“, berichtet er. Auch er hat sich vertraglich zur Pflege bestimmter Flächen zum Erhalt der Kulturlandschaft verpflichtet. Dabei sind die beweideten Parzellen klein und liegen weit auseinander. Diese mit einer großen Herde zu beweiden funktioniert schlicht nicht. Nach der Sichtung eines Wolfes in seiner Heimatgemeinde ist Bruno Fischer dazu übergegangen, seine Weidezaungeräte nicht nur einmal sondern zweimal pro Tag zu überprüfen. „Bevor der Wolf angreift, schaut er erst mal und schnüffelt am Stromzaun. Dann muss genügend Spannung vorhanden sein, um den Wolf abzuhalten.“ Höhere Zäune sind besonders in Steillagen kein großes Hindernis, da der Wolf von oben ins Gehege springt. Setzt er erst zum Sprung an, hilft auch kein Strom als Abwehr: Einen Stromschlag bekommt nur, wer Kontakt zum Boden hat, nicht aber der springende Wolf. Zudem stellen höhere Zäune einen nicht unerheblichen finanziellen Aufwand dar. Doch diese werden wie die Herdenschutzhunde erst dann bezuschusst, wenn sie in einem Wolfspräventionsgebiet eingesetzt werden.
„Das Grundproblem ist: Wenn die Gesellschaft will, dass unsere Kulturlandschaft gepflegt wird, muss die Weidehaltung von Schafen und Ziegen möglich sein“, sagt Fischer. Nach Auskunft des Landschaftserhaltungsverbandes werden allein im Kreis Schwäbisch Hall rund 360 Hektar im Rahmen der Landschaftspflegerichtlinie von Schafhaltern gepflegt. Sie haben sich vertraglich dazu verpflichtet. Hinzu kommt eine Vielzahl individueller Vereinbarungen zwischen Tierhaltern und Grundstückseigentümern. „Man muss wissen, dass bei diesem Thema unweigerlich Konflikte entstehen und man muss wissen, wie man damit umgeht.” Ohne Landschaftspflege durch Schafhalter würden Streuobstwiesen nicht mehr gepflegt werden und auch Steilhänge mit seltenen Orchideen und Schmetterlingen würden über kurz oder lang zu Wald. „Da darf man sich nichts vormachen.“ Ein weiteres Problem treibt den passionierten Schafhalter um: Brechen seine Tiere aufgrund eins Wolfsangriffs aus ihren Pferchen aus, haftet der Tierbesitzer. Die nahegelegene Autobahn, Straßen und Wohnsiedlungen machen ihm dabei besondere Sorgen.
In einem Punkt ist sich Bruno Fischer sicher: Die tägliche Angst vor Wolfsübergriffen will er sich nicht antun. „Wer keine Tiere besitzt, kann sich diesen Stress nicht vorstellen, wenn man sich bei jeder Kontrolle der Weiden fragen muss: Sind noch alle da?” Dabei sieht Fischer es als geringeres Problem an, wenn ein durchwandernder Wolf alle zwei Jahre eines seiner Schafe reißen würde. „Hätten wir jedoch alle zwei Wochen einen Riss, dann würde ich mit der Schafhaltung aufhören.” Was passiert, wenn es wirklich so weit käme und er seine Herden aufgeben würde? „Dann müssten sich viele Gedanken machen, wie sie ihre Streuobstwiesen pflegen”, fasst der Nebenerwerbslandwirt zusammen. „Wenn die Beweidung durch Schafe wegfällt, ist das meiner Meinung nach der Tod der Streuobstwiesen und vieler anderer geschützter Flächen unserer Kulturlandschaft.“
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