Zuckerrüben

„Rüba – koi Zeit!“

Bei zahlreichen Landwirten dreht sich von Mitte September bis hinein ins neue Jahr alles um die Rübe

Aus der Nähe sehen Zuckerrüben eher unscheinbar aus. Hell, bereits vom Grün befreit und grob von Erde gereinigt, liegen sie am Feldrand und warten dort auf den Weitertransport. „Mieten“ nennt man die großen, länglichen Haufen, die schon aus der Ferne deutlich zu erkennen sind. In diesem Zustand ist nur schwer vorstellbar, dass daraus die süßen weißen Kristalle werden, die Gebäck und Süßigkeiten den unnachahmlichen Geschmack verleihen.

Wenn es in der Vorweihnachtszeit ans Backen geht, verzichtet kaum ein Rezept auf Zucker. Egal ob im Teig oder dekorativ als Hagel- oder Puderzucker: Wer es süß mag, kommt voll auf seine Kosten. Doch bis es so weit ist und aus den Rüben Zucker wird, liegt viel Arbeit vor allen Beteiligten. Im wahrsten Sinne des Wortes „kein Zuckerschlecken“.


Als Zuckerrübenkampagne wird die Zeit bezeichnet, in der Zuckerfabriken die angelieferten Rüben verarbeiten. Dies geschieht etwa von Mitte September bis Januar. Damit aus Zuckerrüben in der Zuckerfabrik verzehrfertiger Zucker werden kann, sind viele Arbeitsschritte notwendig. Die Koordination erfolgt unter anderem im Maschinenring Rems-Murr-Neckar-Enz in Leutenbach. Thomas Häußermann plant hier im Auftrag der Rodegemeinschaft Mittlerer Neckar GbR die Routen der Rübenroder. Diese Pläne sind nicht nur für die Fahrer wichtig. Auch die Landwirte müssen über die Ernte informiert werden, damit sie die Fahrer einweisen und auf Besonderheiten ihrer Fläche hinweisen können.


Insgesamt zwei dieser gigantischen Maschinen ernten auf den Feldern der Mitglieder im Einsatzgebiet zwischen Böckingen im Norden, Backnang im Osten, Ditzingen im Süden und Nussdorf im Westen. Dabei schafft ein Roder pro Tag zwischen zehn und 12 Hektar. Am Ende der Zuckerrübenkampagne werden die beiden Maschinen Zuckerrüben aus mehr als 1300 Hektar Ackerboden geholt haben. Dabei schlägt der Roder das Grün der Rüben ab, holt die Früchte aus dem Boden und befördert sie über Reinigungsbänder weitgehend von Erde befreit in seinen Bunker.


Armin Rapps ist einer der Fahrer und bereits das fünfte Jahr in Folge dabei. „Wenn man wie ich in der Landwirtschaft groß geworden ist und ein Faible für große Maschinen hat, ist Rübenroder fahren wie Ostern und Weihnachten an einem Tag“, beschreibt er die Faszination, die von diesen Maschinen ausgeht. Doch die zusätzliche Arbeit während der Rübenernte ist anstrengend: „Nach den acht bis zehn Wochen ist man jedes Mal froh, wenn es vorbei ist. Gleichzeitig freut man sich schon wieder auf das nächste Jahr.“

Liegen die Zuckerrüben erst einmal auf Mieten am Feldrand, kommen Reinigungslader und, für den Abtransport zur Zuckerfabrik, Lastwagen ins Spiel. Im Auftrag der Landwirtschaftliche Maschinengenossenschaft für Zuckerrübenanbauer Ludwigsburg eG (LMZ) übernimmt Ulrike Stein vom Maschinenring Rems-Murr-Neckar-Enz die verantwortungsvolle Aufgabe, die Einhaltung aller geltenden Gesetze zu kontrollieren, sowie die umfangreiche Abrechnung von 14 LKW und einem Team aus 140 Fahrern. Dabei gibt es für jeden Laster einen weiteren Verantwortlichen aus dem Fahrer-Team, der die detaillierte Planung des Dreischichtbetriebs übernimmt. Die Abstimmung erfolgt unter anderem über einen Messenger-Dienst: „Rüba – koi Zeit!“ Wer Teilnehmer der gleichnamigen WhatsApp-Gruppe ist, den hat mit Sicherheit das Zuckerrüben-Fieber gepackt.

Damit es die Zuckerrüben vom Acker auf den LKW schaffen, gibt es den Rüben-Reinigungslader. Christian Schwerdtle ist einer der Fahrer dieser gigantischen Maschinen. Er ist einer von drei Vorständen der LMZ und hätte in dieser Funktion und auf dem heimischen Betrieb mit mehr als 60 Pferden eigentlich genug zu tun. Doch auch ihn hat das Zuckerrüben-Fieber erwischt und so schiebt er während der Kampagne 12-Stunden-Schichten auf der „Maus“, wie sein Fahrzeug genannt wird. Wenn er auf den nächsten LKW warten muss, nutzt er die Zeit für die Planung der nächsten Tage und Wochen. Welche Route können die schweren und breiten Laster zum Feld nehmen, ohne sich gegenseitig zu behindern? Ist die Maus rund um die Uhr besetzt? Der mehr als eine halbe Million Euro teure Rüben-Reinigungslader kann im Jahr nur etwa 100 Tage eingesetzt werden. Da darf kein Leerlauf entstehen, es zählt jede Minute.

Auf dem LKW geht es schließlich Richtung Zuckerfabrik. „Das Zuckerrübenfahren braucht man, das ist wie eine Sucht!“ sagt Markus Heinzmann. Er ist ein wahres Urgestein im Fahrer-Team und pendelt schon seit mehr als 20 Jahren mit dem LKW zwischen Zuckerrübenfeldern in der Region und der Zuckerfabrik in Offenau. Rund 26 Tonnen Zuckerrüben kann er auf einmal transportieren. Auf den engen, einspurigen Feldwegen ist dabei jede Menge Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt. Ganz besonders dann, wenn gleichzeitig Spaziergänger oder Sportler die Wege nutzen. Markus Heinzmann selbst hat neben seinem Beruf beim technischen Dienst einer Gemeinde einen landwirtschaftlichen Betrieb und baut auf einigen Hektar Zuckerrüben an. Seine Freunde wissen: Wenn Rübenkampagne ist, herrscht bei ihm Ausnahmezustand.


Beeindruckend sind die enge Koordination und die Abstimmung im Fahrer-Team. Über Funk tauscht man sich aus: Ist das Autobahnkreuz frei oder fährt man besser über Land? Wo gibt es Engpässe, was ist der schnellste Weg? Wenn die Fahrer ihre schwere Fracht in der Waschrinne der Zuckerfabrik abgeladen haben, bleibt keine Zeit für eine extra Pause. Schnell geht es zurück zum Feld, um die nächste Ladung Rüben zu holen – Zuckerrüben-Fieber eben.

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