Kitzrettung

Aktiver Tierschutz trifft auf High-Tech

Engagierte ehrenamtliche Helfer nutzen Drohnen
für die Rehkitzrettung


Die Natur hat den Schutz von Rehkitzen prima gelöst: Die Kleinen haben zunächst keinen Eigengeruch, daher ziehen sie keine Raubtiere an. Ihre Mütter lassen sie zwischen dem Säugen im hohen Gras allein, wo ihr getupftes Fell für eine perfekte Tarnung sorgt. Nur mit dem Menschen und seinen großen Mähmaschinen hat die Natur nicht gerechnet. Das wird im Frühjahr vielen Rehkitzen zum Verhängnis. Gut, dass es immer mehr Initiativen gibt, die vor dem Mähtermin die Wiesen nach den jungen Tieren absuchen. Zu ihnen gehören Stephan Engel und Denis Ledig aus Murrhardt. Sie bieten Rehkitzrettung aus der Luft an.

Ein Surren ist zu hören und der Windhauch der Rotorblätter noch in einiger Entfernung zu spüren, wenn die Drohne abhebt. Bald ist sie nur noch ein entfernter Punkt am Himmel über der Wiese vor uns. Pilot Stephan Engel lässt das Fluggerät nicht aus dem Blick und kontrolliert die zuvor programmierte Flugbahn. Sein Kollege Denis Ledig beobachtet auf einem großen Bildschirm im Kofferraum ihres Autos, welche Informationen die Wärmebildkamera liefert. Dabei wecken insbesondere weiße Flecken seine Aufmerksamkeit. Sie deuten auf eine höhere Temperatur hin. Liegt an dieser Stelle etwa ein Kitz und duckt sich vor der vermeintlichen Bedrohung tiefer ins Gras?



Nicht immer bedeuten höhere Temperaturen am Boden, dass ein Kitz gefunden wurde: Ameisenhaufen und Maulwurfshügel können die Kitzretter in die Irre führen. Wenn die Drohne ein schlafendes Reh geweckt hat, bleibt ihre Schlafkuhle im Gras ebenfalls noch länger warm und wird von der Wärmebildkamera angezeigt. Doch immer wieder finden die Rehkitzretter mit ihrer Drohne ein Jungtier. Im Alter von einigen Wochen suchen sie, aufgeschreckt von der Drohne, selbst das Weite. Sie warten in sicherer Entfernung auf ihre Mutter, die Ricke oder Geiß, wie sie in der Fachsprache heißt. „Die ganz kleinen Kitze machen keinen Mucker“, erklärt Stephan Engel. Sie werden von Helfern nur mit Handschuhen angefasst und mit Gras abgerieben, damit sie auch weiterhin keinen Eigengeruch haben und von der Mutter noch angenommen werden. Während dem Mähen in Kisten sicher geschützt, werden sie anschließend in der Nähe am Waldrand wieder ausgesetzt, wo die Geiß sie durch Rufen findet.

Von Mitte Mai bis Ende Juni bringen Rehe ihre Jungen zur Welt. Meistens haben sie zwei Kitze. Sie „setzen“, wie Jäger sagen, die Jungtiere ins hohe Gras. Dort sind sie vor natürlichen Feinden sehr gut geschützt. In der gleichen Zeit mähen viele Landwirtinnen und Landwirte ihre Wiesen, um Silage herzustellen. Silage wird vor allem für die Fütterung von Rindern eingesetzt. Sie sind reine Pflanzenfresser. Ein Teil des Futters wird für die Vegetarier durch angemähte Rehkitze unbrauchbar. Es ist also auch im eigenen Interesse der Landwirtinnen und Landwirte, die Kitze vor dem Mähen in Sicherheit zu bringen.


Jäger unterstützen diese Bemühungen, indem sie am frühen Morgen ihre Hunde über die Wiese schicken. Doch die geruchlosen Kitze werden dabei nicht immer aufgestöbert. Auch das Absuchen zu Fuß hat Nacheile: Im hohen Gras werden die gut getarnten Kitze nicht immer gesehen. Durch den Morgentau sind die Suchenden zudem in kürzester Zeit nass und die Gefahr von Zeckenbissen bei längerer Suche im Gras ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Ein Wiesenstück, das in einer Stunde zu Fuß durchsucht werden kann, überfliegt die Drohne in nur 15 Minuten. Die High-Tech-Suche ist daher für alle Beteiligten eine schnelle und sichere Möglichkeit. 

Teures Equipment

Das lassen sich Stephan Engel und Denis Ledig auch etwas kosten: Etwa 3.500 Euro ist ihre Ausstattung wert. „Ab und zu geht auch mal was kaputt, das ersetzt werden muss“, sagt Denis Ledig. Hinzu kommt die Versicherung von rund 100 Euro jährlich, Kosten für Ausbildung und Flugschein von etwa 300 Euro und selbstverständlich die Zeit, die die beiden in ihr ehrenamtliches Projekt stecken.


Morgens um 4 Uhr klingelt der Wecker. Denn in der Kühle des Morgens kann der Temperaturunterschied am Boden am deutlichsten erkannt werden. Sobald die Sonne den Boden erwärmt, liefert die Wärmebildkamera keine zuverlässigen Ergebnisse mehr. Da ist ein pünktlicher Beginn am eigentlichen Arbeitsplatz meistens nicht mehr drin: „Mein Chef duldet das zum Glück“, erklärt Denis Ledig. Auch für Stephan Engel ist ein späterer Start meist kein Problem. Die beiden benötigen ein bis zwei Tage Vorlauf, um den Einsatz mit dem Arbeitgeber abzustimmen. So können die beiden ihrem „Hobby“, wie sie sagen, nachgehen. Denn sie arbeiten für die Kitzrettung auf Spendenbasis.

Die Drohne kommt in der Landwirtschaft aber auch noch an anderer Stelle zum Einsatz: Etwa wenn Wildschweine in Maisfeldern vermutet werden: „Man kann ganz gezielt vorgehen“, erklärt Denis Ledig. Mit der Drohne lassen sich die Tiere sowohl aufstöbern als auch der vom Wild verursachte Schaden direkt beziffern und für den Jagdpächter belegen. Diese Einsätze stellen die Drohnenpiloten dann jedoch in Rechnung.


Bei ihrer Arbeit in der Kitzrettung ist Denis Ledig und Stephan Engel vor allem der Tierschutz wichtig: „Wenn die Geiß am Waldrand steht und nach ihrem verletzten Kitz schreit, das ebenfalls nach seiner Mutter ruft und Schmerzen hat...“, erinnert sich Denis Ledig, „…das geht einem durch alle Knochen“, führt Stephan Engel den Satz zu Ende. Solche Situationen wollen die beiden nicht mehr erleben und hoffen, dass künftig möglichst viele Landwirtinnen und Landwirte das Angebot der ehrenamtlichen Initiative annehmen.

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