In eisigen Frühlingsnächten geht in Obstplantagen und Weinbergen
Merkwürdiges vor sich
Nebeldrachen, Eispanzer, Kerzenschein, heißer Draht und große Windräder: Was im ersten Moment nach den Grundlagen eines Fantasy-Films klingt, dient in Wirklichkeit dem Kampf gegen eine ganz reelle Gefahr: Blüten und junge Triebe im Obst- und Weinbau werden mit diesen besonderen Mitteln gegen Spätfrost geschützt. Das funktioniert aber nur mit viel persönlichem Einsatz der Landwirte und ist in jedem Fall eine teure Lösung. Dennoch scheuen viele Winzer und Obstbauern diesen Aufwand nicht, damit sie ihren Kunden eine möglichst große Menge an heimischem Obst in perfekter Qualität anbieten können.
Wenn Karl Giebler aus Zweiflingen seinen „Fog Dragon“, zu Deutsch seinen Nebeldrachen, zum Leben erweckt, dann versucht er seinen Kernobst-Bestand vor eisigen Temperaturen zu schützen. Denn im Nebel fallen die Temperaturen nicht unter 0 Grad. Seine landwirtschaftliche Nebelmaschine einer ungarischen Firma erinnert an ein kleines Wasserfass, das er mit seinem Traktor durch die Obstplantage zieht. Im Innern des Anhängers wird mit Stroh oder Hackschnitzeln feuchter Rauch erzeugt und an die Umgebung abgegeben. Etwa jede neunte bis zehnte Reihe durchfährt der Landwirt, um dann nach etwa 20 Minuten wieder von vorne zu beginnen. Karl Giebler kommen bei dieser Methode seine Hagelnetze zugute, die er wie ein Dach über seinen Bäumen spannt und so den Nebel besser in der Plantage halten kann. Im Sommer helfen die Netze die Früchte vor Hagelschäden zu bewahren und auch um unschöne Stellen auf der Schale durch zu viel Sonne zu verhindern. „In Zweiflingen haben wir früher das Problem mit den Spätfrösten belächelt, denn die gab es bei uns praktisch nicht. Doch durch den Klimawandel haben auch wir hier seit etwa drei Jahren Probleme mit Frost“, erklärt Karl Giebler. Nun verbringt er sehr kalte Frühlingsnächte bei seinen Apfelbäumen. Die Nachtschichten mit dem Fog Dragon hat er vorsichtshalber bei der Gemeinde angemeldet, damit nicht versehentlich ein Feueralarm ausgelöst wird.
Frostschäden entstehen vor allem im Frühjahr, wenn warme Tage Triebe, Knospen und Blüten aus Bäumen, Büschen und Reben kitzeln, die Nächte aber noch frostig werden können. Trotz der eisigen Temperaturen sorgte bis vor kurzem Kerzenschein zwischen Manfred Bauers Kirschbäumen für einen romantischen Anblick. Ganz und gar nicht romantisch war dagegen die Arbeit zuvor, wenn in der stockdunklen Anlage 220 Kerzen je Hektar zur rechten Zeit angezündet werden mussten. Jede Kerze brennt acht Stunden, das genügt etwa für zwei kalte Nächte. Also müssen in der ersten Nacht die Kerzen auch wieder rechtzeitig gelöscht werden. Abgesehen von der zusätzlichen Arbeit hat diese Methode auch ihren Preis: Rund 1200 Euro pro Hektar und Nacht muss Manfred Bauer dafür einkalkulieren. Nun ist er umgestiegen: Von Kerzen auf Pellet-Öfen. 80 Stück stehen bei ihm auf zwei Hektar mit Kirschbäumen. „Im Großen und Ganzen funktioniert es“, berichtet der Landwirt, der einen reinen Obstbaubetrieb leitet. Dass auch seine Methode nicht 100 Prozent seines Ertrags retten kann, ist ihm bewusst: „Jede kalte Nacht macht ein paar Prozent Ertrag kaputt.“ Zudem heizt der Landwirt nur seine Kirschen. „Wir haben in den anderen Bereichen schon bedeutende Frostschäden“, erklärt er. „Mal schauen, was übrigbleibt.“ Eine digitale Wetterstation unterstützt Manfred Bauer bei seiner Arbeit: Wenn es in der Nacht entsprechend kalt ist, macht er sich meist gegen 2:30 Uhr auf den Weg zu seinen Kirschbäumen. Kurz vor Sonnenaufgang ist es oft am kältesten – bis 5 oder 5:30 Uhr müssen die neuen Öfen also entsprechend Wärme erzeugt haben, um die empfindlichen Blüten zu schützen.
Erich Gayer aus Mainhardtsall kämpft nicht gegen sondern mit seinen Windmühlen: Zwei gut zehn Meter hohe Windräder sind die einzig stationären Anlagen dieser Art in Baden-Württemberg. Das Verfahren nutzt die im Frühjahr herrschenden Inversionswetterlagen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die warme Luft in höheren Lagen liegt, während es weiter unten kalt ist. Die Windräder wirbeln die Luftschichten durcheinander und sorgen so für Temperaturen um den Gefrierpunkt, die den Knospen nicht gefährlich werden können. Betrieben werden die Anlagen von Erich Gayer mit schallgedämpften Gasmotoren. Doch die Rotorflügel mit ihren sechs Metern Durchmesser können nicht schallgedämpft werden. Sie wirbeln 30.000 Kubikmeter Luft pro Minute durcheinander – und das ist deutlich zu hören. Auch wenn die nächsten Wohnhäuser mehr als einen halben Kilometer entfernt stehen und die Anlage von Erich Gayer die Grenzwerte für Lautstärke einhält, hat sich in diesem Jahr der eine oder andere Anlieger bei ihm gemeldet. „Die meisten akzeptieren es, wenn in Frostnächten meine Anlage in Betrieb ist. Ich kann ja verstehen, dass es an der Schmerzgrenze ist, wenn 4 Nächte nacheinander die Anlage im Einsatz ist“, zeigt Erich Gayer Verständnis für die Nachbarschaft. Dennoch kann er nicht einfach auf seine Windräder verzichten: „Man muss den Menschen bewusst machen, dass wir im Klimawandel sind. Äpfel wachsen nicht im Supermarkt. Wir müssen froh sein, wenn wir hier noch jedes Jahr eine Ernte haben.“
Auf Strahlungswärme setzt Armin Jakob, der Wein- und Tafeltrauben in und um Michelbach am Wald anbaut. Die Reben seiner Tafeltrauben ranken sich auf Höhe der empfindlichen Knospen um eine ummantelte Stromleitung. Sie setzt etwa 20 Watt je Meter frei und wird so handwarm. Während dies in windgeschützten Lagen ausreicht, die Triebe am Leben zu erhalten, muss bei Wind zusätzlich das bestehende Hagelschutznetz geschlossen werden, damit die Wärme nicht im wahrsten Sinne des Wortes vom Winde verweht wird. „Ich denke, dass die Strahlungswärme dieses Jahr ausgereicht hat, um meine Reben vor den Spätfrösten zu schützen“, erklärt Armin Jakob zuversichtlich. Auch er hat sich in diesem Jahr so manche Nacht um die Ohren geschlagen. Während es in den vergangenen Jahren ausgereicht hat, die Heizleitung gegen 3 Uhr einzuschalten, fiel das Thermometer in diesem Frühjahr teilweise bereits ab 22 Uhr unter 0 Grad. „Es ist kein Schnapper, wenn die Heizung die ganze Nacht laufen muss.“ Während die Reben am Haus direkt über die Starkstromleitung mit Energie versorgt werden, muss außerhalb des Ortes der Schlepper ran: Er betreibt ein großes Stromaggregat, das die Leitungen in den Reben aufheizt. „Wenn klar ist, dass es kalte Nächte geben wird, muss das alles parat stehen. Abends schafft man es nicht mehr, alles aufzubauen“, weiß Armin Jakob aus Erfahrung. Er wärmt die Tafeltrauben-Stöcke seit mehreren Jahren auf diese Weise. Zu Beginn verbrachte er fast die ganze Nacht auf dem Traktor, um bei Störungen eingreifen zu können. Heute sieht er nach Inbetriebnahme der Anlage nochmal etwa 2-3 Stunden später bei den Weinstöcken nach dem Rechten.
Im warmen Kochertal schützt Landwirt Ingo Ehrenfeld eine für diese Region exotische Frucht vor der Kälte: Seine Mini-Kiwis erzeugt er biologisch. Dennoch muss er bei eisigen Temperaturen eingreifen. Auf zehn Hektar hat er zusätzlich zur Tröpfchenbewässerung Mikrosprinkler über den Pflanzen installiert, die in kalten Nächten die Pflanzen fein mit Wasser besprühen. Diese Frostberegnung sorgt nicht nur für bizarre Eisgebilde, sie schützt vor allem Knospen und Triebe vor der Kälte. Pro gefrierendem Liter Wasser werden 67 Kilojoule Energie frei. Genug, um die Mini-Kiwis bis minus 3,5 Grad Celsius zu schützen. Das bedeutet aber auch, dass nicht der Eispanzer selbst, sondern die Änderung des Aggregatszustands von flüssig zu fest die Pflanzen schützt. In diesem Jahr war die Anlage während einer Frost-Phase ganze 36 Stunden am Stück im Einsatz. So kostet der Schutz vor Spätfrost nicht nur Schlaf und Nerven, sondern auch entsprechend Geld für das Betreiben der Anlage. Das benötigte Wasser zieht Ingo Ehrenfeld aus einem eigens hierfür gebauten Uferfiltrat-Brunnen am nahegelegenen Kocher. „Dabei nutzen wir Deutschlands größte mobile Filteranlage“, berichtet er nicht ohne Stolz. Eine Wetterstation in der Kiwi-Plantage alarmiert den jungen Landwirt rechtzeitig, sodass die Anlage in Betrieb genommen werden kann. Dennoch ist der Erfolg auch bei dieser Methode nicht garantiert: „Frostberegnung ist wirklich ein Leid. Man steht nachts auf und weiß nicht, ob es auch wirklich funktioniert.“ Das wird sich erst zeigen, wenn sich aus den bestäubten Blüten kleine Früchte bilden.